PiA UNTERWEGS AUF DEM KLAGEWEG? - PROTOKOLL


Inhalt:


Welche Möglichkeiten bietet der individual-arbeitsrechtliche Klageweg und welches Potenzial haben betrieblich-kollektive Lösungsansätze für die Beendigung sittenwidriger Arbeitsbedingungen von PiA?

Informations- und Diskussionsveranstaltung des Landesfachbereich 3, Berlin,
10.10.2013, 15:00-18:00
Einladung zu dieser Veranstaltung: http://gesundheit-soziales-bb.verdi.de/downloads/data/131015_Protokoll%20-%20PiA%20auf%20dem%20Klageweg.pdf


Anwesende:

Interessensvertretungen der Arbeitnehmer (Betriebsräte, BR, Personalräte, PR oder Mitarbeitervertretung, MAV) folgendender Krankenhäuser: Charite Universitätsmedizin Berlin, Pinel gGmbH, Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge gGmbH, Schlosspark-Klinik-GmbH und Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH
PiA-Organisationen:
Rat des Berliner PiA-Forums, PiA-Sprecherin der Psychotherapeutenkammer Berlin, zahlreiche PiA für gerechte Bedingungen! Berlin
Organisationen des Berufsstandes:
Psychotherapeutenkammer Berlin, Bundesverband der Vertragspsychoterapeuten
Sowie ca. 30 Berliner PiA

Moderation: Meike Jäger (Landesfachbereichsleiterin – FB 3, Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt, Kirche)

Podium: Gerd Dielmann (bis 2012 Bereichsleiter Berufspolitik bei ver.di) Volker Gernhardt (stellv. BR-Vorsitzender Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH) Katharina Simons (ver.di PiA-AG Berlin)

Podiumsbeiträge

Meike Jäger

Es sei ihr ein Anliegen, die PsychotherapeutInnen in Ausbildung mit den Betriebsräten ins Gespräch zu bringen. Seit 2007 gebe es auf Bundesebene die AG für PiA-Angelegenheiten, geleitet von Gerd Dielmann. Diese entsende eine Person in die ver.di Fachkommission für Psychotherapeuten. Seit 2012 leite Meike Jäger die Berliner ver.di-PiA-AG.

Katharina Simons

Sie beteilige sich seit 2011 am PiA-Protest und habe bei Vivantes ihre Praktische Tätigkeit abgeleistet. Charité, Vivantes & Pinel seien die Hauptausbildungsträger in Berlin. Eine vollständige Liste der ausbildenden Krankenhäuser sei durch das LaGeSo erstellt worden, sei dem PiA-Forum bisher jedoch noch nicht ausgehändigt worden. Der Protest zeige gute Erfolge.

Die konkrete politische Arbeit in den Betrieben werde jedoch durch folgende Hürden erschwert: PiA sind nur höchstens 1-1,5 Jahre am Stück im Rahmen der Praktischen Tätigkeit in einer Klinik beschäftigt. Dies erschwere eine kontinuierliche innerbetriebliche Zusammenarbeit mit der Vertretung der Arbeitnehmer. Häufig bestehe kein reguläres Angestelltenverhältnis, sodass die Beschäftigung von PiA nicht in den betrieblichen Strukturen abgebildet ist. Es gibt keine klare gesetzliche Grundlage für Form und Inhalt der Praktischen Tätigkeit. Dies führe zu einer großen Diversität der Beschäftigungsverhältnisse auch innerhalb eines Betriebes. PiA kenne sich mit den Vertretungsstrukturen der Arbeitnehmer bisher noch nicht gut aus, wie auch diese die PiA-Problematik bisher nicht immer kennen.

Sie berichtet daraufhin, dass es neben der ver.di PiA-AG Berlin eine PiA-Vertretung in der Berliner Psychotherapeutenkammer gebe, sowie das Berliner PiA-Forum, das Treffen der PiA-Sprecher der Institute. All diese Strukturen sind gut miteinander vernetzt und können die Interessensvertretung der PiA in den Kliniken unterstützen und die Kontinuität fördern.

Gerd Dielmann

Gerd Dielmann erklärte in seinem Statement die Rechtsgrundlagen der Praktischen Tätigkeit (PT). Der Gesetzestext sei im Vergleich zu anderen Ausbildungsgesetzen unklar. Ausbildungs- und Prüfungsverordnung §2 besage, dass die „Praktische Tätigkeit dem Erwerb von Erfahrungen“ diene. Sie müsse unter „fachkundiger Anleitung und Aufsicht stehen“. Das Berufsbildungsgesetz, das 350 Berufe regele, werde ausgeschlossen, damit werde die Vergütung, sowie andere arbeitsrechtliche Regelungen ausgeschlossen. Auch die anderen Heilberufe sind hier ausgeschlossen. Diese enthalten jedoch explizite Vergütungsregelungen. Das Vergütungsthema sei von den Gesetzgebern „bewusst umschifft“ worden. Es gebe auch keine Aussage zum Vertragsverhältnis, unter dem die PT abgeleistet werden müsse. Sie könne mit oder ohne Arbeitsvertrag abgeleistet werden. Sollten Landesprüfungsämter hier andere Vorschriften vorsehen, so handelten sie nicht nach dem Gesetz, und man könne also mit ihnen darüber reden.

Im Streitfall um ein Vertragsverhältnis/Vergütung komme es dann zur Klärung dieser Lage durch die Rechtssprechung, d.h. die PiA klagt und ein Richter prüft, ob in diesem Fall faktisch ein Arbeitsverhältnis vorlag und ob mit Nichtvergütung sittenwidrig gehandelt wurde. Wichtig sei dabei ein „auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“. Aus dem Urteilbegründung aus Hamm würde hervorgehen, dass nicht die komplette Tätigkeit nicht zu vergüten sei, weil ein Teil auch Ausbildung sei – anders im Hamburger Urteil, das ein Arbeitsverhältnis sah, das auch entsprechend vergütet werden müsse. Klagt man um Vergütung, so trägt man die Beweislast. Dabei zählt, was man tatsächlich gemacht hat, und nicht, was im Vertrag steht. Der Arbeitgeber wird den Ausbildungscharakter des Arbeitsverhältnisses betonen und die Elemente selbständiger Arbeit leugnen.

Ein Arbeitsverhältnis zeichne sich durch folgende Eigenschaften aus: Weisungsgebundenheit gegenüber dem Arbeitgeber Eingliederung in die Arbeitsorganisation (Ist die PiA eingegliedert im gesamten Organisationsprozess, z.B. feste Zeiten, wann man da sein muss, Urlaub etc.) Was stand im Vordergrund Ausbildungszweck oder Arbeitsleistung – z.B. eigenständige Therapien? Werden die Leistungen der PiA abgerechnet?

Um der Beweislast zu entsprechen, müssen folgende Dokumente gesammelt werden: genau Protokoll führen über die ausgeübten Tätigkeiten (was? Zeitliches Volumen? Anleitung ja/nein?, in welcher Form?) Zeugenaussagen? Ausführliches Arbeitszeugnis? Es besteht ein Recht darauf, dass das Arbeitszeugnis korrekt die ausgeübten Tätigkeiten abbildet. Wurden die Arbeitsleistungen abgerechnet?

Sollte eine Klage um Vergütung durch alle Instanzen bis zum Bundesarbeitsgericht geführt und positiv beurteilt werden, so habe so ein BAG-Urteil durchaus richtungsweisenden Charakter für die niedrigeren Instanzen und könne als neue Entscheidungsgrundlage auf betrieblicher Ebene dienen. Es sei auch möglich, dass viele erfolgreiche Klagen („Richterrecht“) den Gesetzgeber zu neuer Gesetzgebung animieren. Auf Klagen werden die Arbeitgeber jedoch damit reagieren, den Ausbildungscharakter der PT stärker zu betonen und die Vergütungspflicht zu umgehen.

Volker Gernhardt

Volker Gernhardt berichtete von der Durchsetzung der Vergütung von 850,- für 26 Wochenstunden bei Vivantes. Diese sei durch die aktiven PiA im Betrieb möglich gewesen, die nicht locker ließen, sowie die guten Organisations- und Hilfsstrukturen bei ver.di und unermüdliches „Sticheln“ durch den Betriebsrat. Betriebsratsintern (er besteht aus 59 Mitgliedern) seien anfängliche Uneinigkeiten bzgl. der Relevanz des Themas, bspw. da PiA zukünftige Gutverdiener seien, überwunden worden.

Chronologie: Nach den ersten Protesten 2011 habe man eine „Teilbetriebsversammlungen“ einberufen. Zu diesem Anlass habe der BR eine Liste aller im Betrieb beschäftigten PiA erhalten. Auf dieser Versammlung seien zunächst die Fakten zusammen getragen worden und alle PiA ins Boot geholt worden. Darauf habe man angefangen, „den Arbeitgeber mit den Forderungen zu nerven“. Zu den Forderungen gehörten ein gleichlautender Arbeitsvertrag für alle im Vivantes-Konzern beschäftigten PiA sowie die Existenzsicherung per Mindestlohn. D.h. 850,- bei 100h/Monat vor dem Hintergrund des Senatsbeschlusses, keine Unternehmen mit Aufträgen zu betrauen, die weniger als 8,50/h zahlen.

Auf der Betriebsversammlung Herbst 2012 habe der neue Personaldirektor dann die Zusage gegeben, den Forderungen statt zu geben. Der ver.di Mustervertrag wurde jedoch nicht angenommen. Der Arbeitgeber hat eine „Praktikantenvereinbarung“ vorgelegt, die Anzahl der Wochenstunden, Urlaub und Bezahlung regelt. Schwierigkeiten habe es dann jedoch bei der Durchsetzung der einheitlichen Verträge auf der mittleren Führungsebene gegeben.

Sind PiA in den Dienstbetrieb integriert, so obliegen dem Betriebsrat mehr Möglichkeiten, Dinge einzufordern. Der hohe Organisationsgrad der PiA sollte zur weiteren Gestaltung des Vertrags und Verstetigung der Erfolge beibehalten werden. Die PiA sollten wieder auf der anstehenden Betriebsversammlung Präsenz zeigen.

Seit der Einführung der 850,- hat sich die Anzahl der PiA von 40 auf 64 erhöht. Die PiA-Stellen werden aus den Abteilungsbudgets der Chefärzte bezahlt. Die Verträge gelten sowohl für Pädagogen als auch für Psychologen.

Diskussion

→ Berichte aus den Häusern:

Pinel: PiA werden wie Sozialarbeiter beschäftigt, mit vergleichbaren Aufgaben. Sie werden mit 400,- vergütet. Der Einsatz der PiA rechne sich also für den Betrieb. Nicht alle Tochterfirmen von Pinel haben einen Betriebsrat. Der Betriebsrat hat Kontakt zu den PiA gehabt, eine Versammlung hat stattgefunden. Die Zusammenarbeit soll wieder aufgenommen werden.

Charite: Die Charite ist in 17 wirtschaftlich unabhängige Centren gegliedert. Die Psychiatrie liegt im Centrum 15 und wird von einem wirtschaftlichen, einem ärztlichen und einem Pflegedirektor geleitet. Mit diesen müsste man verhandeln. Die Anzahl der PiA zur Zeit nicht bekannt. Der Personalrat beabsichtigt, eine PiA-Versammlung zu organisieren.

KEH: Es gebe derzeit sehr wenig Spielraum für zusätzliche Vergütung, es sei schon bei der Pflege sehr viel gespart worden. Krankenhäuser stünden mit dem Rücken an der Wand. Insgesamt würden zunehmend Ärzte therapeutische Aufgaben übernehmen. Die Zahl der PiA sei rückläufig.

Schlosspark-Klinik: PiA haben einen Praktikantenvertrag über 266,- bei 40h/Woche. In 12 Monaten können 1800 Std. abgearbeitet werden. Es hat auf Initiative eines PiA ein Treffen mit Chefarzt, jmd. aus dem Personalbüro, PiA-Vertretern und BR gegeben. Es wurde die Forderung nach einer Vergütung von ca. 1300,-/Monat bei 40 Wochenstunden aufgestellt (entspricht dem Mindestlohn von 8,50). Diese ist derzeit in der Prüfung.

TWW: Es gibt momentan keine schriftlichen Verträge. Die PT wird mit 400,- bei 25h vergütet, es sind ca. 10 PiA beschäftigt. Der anwesende PiA will Kontakt zu den anderen PiA im Betrieb aufnehmen.

Bodelschwinghsche Anstalten/Bethel: Vergütung liegt hier bei 240,- bei 3-Tage-Woche, + BVG-Ticket und Sozialversicherung. Es habe eine Versammlung gemeinsam mit der MAV gegeben. Aus dieser Veranstaltung seien jedoch kein weiteren Aktivitäten hervorgegangen.

→ Rolle der Kammer

Da die Kammer eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist und die Mitgliedschaft für approbierte Psychotherapeuten obligatorisch ist, muss sie häufig sich widersprechende Interessen vertreten. Es gibt daher keine „Position der Kammer“. Sowohl Institutsleiter als auch Angestellte sind durch die Kammer organisiert. PiA jedoch nicht. Aus der Perspektive der Institutsleiter besteht die Sorge, dass Plätze für die Praktische Tätigkeit abgebaut werden, und ob die Ausbildungsqualität der PT unter der Bezahlung leidet. Gleichzeitig ist es den Mitarbeitern der Kammer bewusst, dass zu viel ausgebildet wird. Es werden momentan bundesweit jährlich doppelt soviele PiA ausgebildet (2000), wie durch die BPtK an Bedarf errechnet wurde (1000).

→ Wie ist der Weg zu einem Tarifvertrag, der PiA berücksichtigt? Kommunale Krankenhäuser wie Vivantes und Charite sind in Berlin an den TVöD gebunden. Bezogen auf den TVöD verhandelt die ver.di-Tarifkommission mit dem Verband kommunaler Arbeitgeber (VKA). Um in der Bundestarifkommission ihre Forderungen platzieren zu können, müssen PiA sich über die betriebliche Gewerkschaftsgruppe und/oder gewerkschaftliche Gremien aktiv einbringen.
Manche Krankenhäuser und psychiatrische Einrichtungen haben Haustarifverträge. Um hier etwas zu erreichen, müssen PiA sich in die hauseigene Tarifkommission einbringen. Manche Einrichtungen, wie bspw. Pinel, haben keine Tarifverträge. Hier gelten betriebliche Regelabreden.
Kliniken unter kirchlicher Trägerschaft haben Arbeitsvertragliche Richtlinien (AVR) nach dem jeweils gültigen Kirchengesetz. Sie werden auf Landes- oder Bundesebene verhandelt, ohne die Beteiligung von Gewerkschaften. Ein Einfluss für PiA ist hier nur im Austausch mit der arbeitsrechtlichen Kommission möglich.

→ mögliche Strategien zum weiteren Vorgehen

  1. Erstellen einer Liste aller ausbildenden Kliniken mit Kontaktdaten der jeweiligen Betriebsräte, sowie Verfassen eines Handlungsleitfadens BR/PR/MAV über das strategische Vorgehen gegenüber dem Arbeitgeber. Außerdem Verfassen eines Handlungsleitfadens für PiA, wie sie sich auf betrieblicher Ebene Unterstützung organisieren können. Desweiteren Bekanntmachen des Mustervertrags.
  2. Klagen als mögliches Druckmittel, wenn Unternehmen sich nicht auf betriebliche Vereinbarungen einlassen – Forderung einer Mindest-PiA-Vergütung in Berlin in Anlehnung an Vivantes (8,50 €/h).
  3. Das Klagen kann auch als gemeinsame Aktion umgesetzt werden, wie bspw. gerade in Köln, durch gemeinsame Vorbereitung der Klagen mit gemeinsamem Anwalt.
  4. Neben der Bezahlung sollte auch die inhaltiche Qualität der PT eingefordert werden. Als Vorlage hierfür kann die kürzlich durch das PiA-Politik-Treffen verabschiedete Resolution zu Qualitätskriterien in der Ausbildung dienen.
  5. Die Kostenträger wie Krankenkasse und Kommunen könnten einbezogen werden. Eine Strategie ist hier noch zu entwickeln.